Mit Handschuhen und Lupe bewaffnet waren Tine Nowak und ich im Oktober drei Tage zur Recherche in der Berliner Sammlung der Museen für Kommunikation, die neben Objekten und Dokumenten der Postgeschichte das Feldpostarchiv beherbergt. Es ist mit 1.400 Briefen sogar online einsehbar: http://www.museumsstiftung.de/feldpost/index.html
Über 1000 Farbdias aus dem 2. Weltkrieg und Feldpost-Konvolute von über 3 Jahren warteten dort auf uns.
In der DIY-Ausstellung wird es neben anderen Medienamateur-Kulturen auch um die Knipser gehen. Wir schauen uns aber nicht nur klassische Schnappschüsse an, sondern interessieren uns – wie in diesem Fall – bei unserer Recherche auch für Knipser im Krieg. Das Konvolut gehört Hellmuth H., einem deutschen Soldaten im 2. Weltkrieg und Amateurfotograf. Von ihm sind neben unzähligen Briefen an seine Ehefrau auch um die 1000 Farbdias, noch rar gesät in den 1940er Jahren, und Fotonegative erhalten. Die Lichtbilder vollziehen den Weg von Hellmuth H. und der Kompanie, der er angehörte, von Frankreich über Bulgarien und Rumänien bis nach Russland in den Jahren 1939 bis 1943 nach. Neben unzähligen Landschaftsaufnahmen knipste Hellmuth H. – von Haus aus Geograf – vor allem Einheimische mit landesüblichen Trachten und marschierende Soldaten.
Angesichts der Ausmaße des Feldpost-Konvoluts von Hellmuth H. beschlossen wir, die Arbeit aufzuteilen. Für mich bedeutete das in erster Linie Lese- und Schreibarbeit: Obwohl die Briefe von Hellmuth Hs. Tochter bereits transkribiert waren, durchforstete ich die mehreren hundert Seiten auf Aussagen und Zitate zum Thema Fotografieren. Es bestätigte sich tatsächlich, was sich schon an der Menge der geknipsten Dias abgezeichnet hatte, nämlich, dass „das Photographieren […] die liebste Nebenbeschäftigung“ für Hellmuth H. gewesen ist. Der Stellenwert des Fotografierens wird fast in jedem Brief erwähnt, auch wenn er hinter den peniblen Anweisungen des Hobbyknipsers an die daheimgebliebene Frau bezüglich der Aufbewahrung der Negative und Abzüge sowie der Beschaffung neuer Farbfilme versteckt ist. (Hier findet sich einer der digitalisierten Briefe von Hellmuth H.)
Tine Nowak hat parallel zu der Analyse der Briefe stundenlang am Lichttisch die Dias und Negative von Hellmuth H. sortiert und Notizen verfasst. Ihre Aufgabe war es, mithilfe einer tabellarischen Beschreibung der Bildmotive, die Farbdias zu sichten und zu sortieren, um hierfür eine angemessene Form der Präsentation in der Ausstellung zu finden.
Trotz objektiver Methodik und der Distanz, die wir als Kuratorinnen zu diesem WKII-Konvolut wahren wollten, funktionierte dies nicht wie geplant. Die erschütternden Aussagen zwischen den Zeilen der Briefe, die nationalsozialistische Propaganda wiedergeben, und die leise, aber doch vorhandene Gewaltästhetik der scheinbar harmlosen Hobbyaufnahmen haben uns auch außerhalb der Archivräume ziemlich beschäftigt. Durch die Arbeit an der Geschichte des Knipsers Hellmuth H. hat sich gezeigt, dass wir nicht nur schöne Selbermach-Geschichten erzählen dürfen, sondern manchmal auch nicht so schöne erzählen werden.
Ein passender Fund von Jörg Borchert bei Kulturelle Welten >