von Christina Mohr und Andrea Marschall
„When we were Riot Grrrls…“ – wie gerne würden wir diesen Text so beginnen lassen, allein, wir waren keine Riot Grrrl, noch nicht mal Riot Girls mit einem „r“. Nicht, dass es uns Anfang der 1990er Jahre an Wut, Hass und Revolutionsgedanken gemangelt hätte – nein, uns fehlte es an Mut, Energie und Konsequenz. Und so verfolgten wir staunend, was wütende junge Frauen in den USA aus ihrem Frust machten: laute Musik zuallererst.
Mitten in die Grunge-Hochphase, dem von angeblich so sensiblen Männern veranstalteten Rock-Revival, platzten All-Female-Bands wie Babes in Toyland, Bratmobile, Heavens to Betsy, Bikini Kill (mit Quotenmann) und L7, die allerdings eher eine Hardrock-Band als Riot Grrrls waren. Unter der Parole „Revolution Girl Style Now!“ begehrten die Riot Grrrls gegen das Rock-Macker-Gehabe auf, sie hielten nichts von technikverliebtem Gedaddel auf den Instrumenten, sondern legten einfach nach dem DIY-Prinzip los. Oft aus dringender, drängender Notwendigkeit: Das Erstürmen der Bühnen war für viele Musikerinnen die einzige Möglichkeit, den auch in Punkkreisen grassierenden Sexismus anzuprangern und mit den ihnen zugestandenen Rollenverhalten zu brechen.
Auch wenn sie vielleicht schon in Punkbands spielten, ihre Hot Topics** hatten bislang keinen Platz in der Musik gefunden: Themen wie weibliche Sexualität, lesbische Liebe, Essstörungen und Vergewaltigungen fanden im männlich dominierten Punk und Hardcore kaum statt. Außerdem: Teil der Punk-Community zu sein schützte nicht vor Vergewaltigungen und tätlichen Angriffen: Musikerin und Riot Grrrl-Ikone Mia Zapata wurde 1993 in Seattle nach einem Konzert auf dem Parkplatz vergewaltigt und ermordet. Auch sonst wurden Riot Grrrls, sobald sie auf die Bühne gingen, häufig von Teilen des männlichen Publikums verbal und körperlich angegriffen, weil ihr bitter-ironisches Styling missverstanden wurde: wer im Minikleidchen und zerrissenen Netzstrumpfhosen auftritt und sich mit Lippenstift „WHORE“ oder „SLUT“ auf den nackten Bauch pinselt, ist doch schließlich eine Hure, eine Schlampe, der es nur recht geschieht, wenn sie vergewaltigt wird. Oder etwa nicht?
Und wir? Studierten brav in in mittelhessischen, mittelgroßen, ganz und gar mittelmäßigen Städten. Jobbten in punkigen Bars und guckten uns am Wochenende die meistens aus vier Jungs bestehenden Punkbands an. Und dachten bei uns, dass wir das doch auch könnten – und trauten uns nicht. Wir kauften Girlband-Platten zum Trost: The Breeders, Hole, Penelope Houston, L7, Bikini Kill gaben Kraft und Selbstachtung. Und Mut. Wenn schon nicht zum Musikmachen, dann dazu, nicht blindlings dem Mainstream zu folgen und nicht immer das zu tun, was man als Mädchen damals so tat. Zum Beispiel nicht den Kartoffelsalat zur Party mitzubringen, sondern für die Musik zu sorgen. Oder sowas in der Art, Revolutionen müssen ja nicht immer mit einem großen Knall daher kommen.
Wie Kathleen Hannah (Bikini Kill, Le Tigre) haben auch wir an die revolutionäre Kraft der Mädchen geglaubt, die Welt tatsächlich ändern zu können. Auch wenn der wütende „Revolution Girl Style Now!“-Ruf aus Amerika hierzulande zur albernen, konsumistischen „Girl Power“ verwässerte. Und heute? Die Riot Grrrl-Bewegung gibt es nicht mehr, ihre ProtagonistInnen sind weitergezogen und haben sich anderen Dingen zugewandt. Bleibt uns Frauen heute nur noch der historisch-verklärte Blick zurück? Oder ist etwas geblieben vom DIY-Ethos, vom Nichtangepasstsein-Wollen und vom gegenseitigen Support der wilden Mädchen aus den 1990ern?
Wir (text&beat und Katja Peglow und Jonas Engelmann vom Ventil Verlag) laden am 28.7. ins Orange Peel ein und stellen das Buch „Riot Grrrl Revisited“ vor. Es ist uns eine besondere Ehre, dass Ur-Riot Grrrl Viv Albertine, ehemalige Gitarristin der Slits, eins ihrer raren Konzerte im Anschluss an die Buchvorstellung gibt. It´s never too late to start a rrriot – überzeugt euch davon im Orange Peel!
* Button-Slogan aus den 1990’ern
**„Hot Topic“: Song von Le Tigre
Ich freu mich schon!