Neue Handarbeit: Guerilla Knitting

Knitting Season, flickr Michi Bertolino

Vor einigen Jahren wurden plötzlich Zehensocken „neu“ und „Trend“, obwohl sie – aus dem 4. Jahrhundert nach Christus stammend – zu den ältesten Funden der Strickgeschichte gehören. Entgegen dem Großmutterimage der Handarbeit kann Stricken seiner Zeit also auch weit voraus sein. Die lange Geschichte des Strickens hat seit etwa 5 Jahren einen Neuzugang: Unter Namen wie Yarn Bombing, Guerilla Knitting, Yarn Stroming, Knitting Graffiti und Yarnarchism kursiert ein neuer Trend zum öffentlichen Stricken.

gestrickte Früchte beim Maker Faire, flickr http://www.flickr.com/photos/ nicomide/4414761306/

Was damit genau gemeint ist, variiert nach Quelle. Während Wikipedia von einem „type of graffiti or street art that employs colorful displays of knitted or crocheted cloth rather than paint or chalk“ spricht, meinen AktivistInnen manchmal öffentliches Stricken wie beim „Worldwide Knit in Public Day“ , das heimliche nächtliche Anbringen vorproduzierter Werke im öffentlichen Raum oder sogar explizit politische Handarbeiten. Wenn man sich dabei auf das Bestricken öffentlicher Plätze festlegt, beginnt die Geschichte 2005 mit einem Gründungsmythos: Magda Sayeg beschloss – aus Ärger über ihre triste Umgebung – den Türgriff ihres Ladens zu umstricken. Am selben Abend fasste sie in einem Telefonat mit einer Freundin den Entschluss, ein Stopschild vor ihrem Laden zu dekorieren. In Houston, Texas war mit Knitta Crew die erste Graffiti Knitting-Gruppe geboren, mit dem sympathischen Anspruch, dass Street Art „a little more warm and fuzzy“ werden solle. (Quelle: Flashnews)

Phone Box Cosy, made by Knit the City www.knitthecity.com

Dieser Anspruch ist dabei bis heute den meisten Gruppen gemeinsam: Die eigene Umgebung verschönern; etwas Außergewöhnliches schaffen; die Grenze zwischen Kunst und Handarbeit verwischen; Aufmerksamkeit gewinnen. So beschrieb etwa Lauren O’Farrel, Gründerin von Knit the City dem Guardian gegenüber über ihren Weg zum Yarnstorming: „I’d sit in front of a pattern and think, ‚Look how much knitting I’m going to have to do to make something that other people have made before.‘ Eventually, I decided I didn’t want to knit anything normal.“ (Quelle: Guardian) -Im Endeffekt geht es aber vor allem um eines: Spaß dabei haben, inklusive Decknamen, Verkleidungen und heimlichen nächtlichen Befestigungsaktionen. Denn wie lange die Werke sichtbar bleiben, kann niemand sagen. Das macht aber auch die Straffreiheit – im Gegensatz zum herkömmlichen Graffiti – aus: Yarnstorming-AktivistInnen berichten, dass die Behörden meist höchstens interessiert zusehen. Und nach ein paar Tagen werden die Ergebnisse oft von Passanten mitgenommen – oder aber von Vandalen zerstört.

Natürlich gibt es auch den politischen Craftivism-Ableger: Die öffentliche Version der politischen Handarbeiten und Tischdeckchen kann zwar kaum verwegenere Orte wählen, als es die Yarnstormer mit Covent Garden und der Bosporus Brücke getan haben, die Motive sind aber wie beim Revolutionary Craft Circle Melbourne (mir gefällt besonders gut der in einen Maschendrahtzaun gestickte Schriftzug ‚I wanna live here‘) bisweilen umstrittener.

Eine gehäkelte Girlande von Beate Thierling

Wem „Dabei sein ist alles“ und eine unbestimmte Haltbarkeit nicht genügt, der muss sich aus dem „Untergrund“ heraus in die legalen Gefilde gestrickter Street Art bewegen. Glücklicherweise bietet sich dazu im Moment auch eine exzellente Gelegenheit: Beate Thierling, freischaffende Künstlerin aus Hanau, sucht noch Hilfe für das „Blühende Brücken Projekt“. Inspiriert von der Künstlerin Yutta Saftien und ihren ‚Greenys‘ , werden sie und mehrere MitstreiterInnen den Hanauer Schlossgarten für den Kultursommer 2011 bestricken. Wer helfen und ihrem Aufruf folgen will kann mitstricken oder fertige Stücke einsenden.

Gelegenheit ist also da, Methodik findet sich überall im Internet. Wir warten auf Frankfurts Yarnbomber, Craftivisten und Knitting Graffiti-Aktivisten. Schnappt euch die alte Strickliesel und der erste Schritt ist getan…

Aktion von grrl+dog im Rahmen von Knitted Convenience, flickr http://www.flickr.com/photos/donpezzano/3802954644/in/set-72157621859649731/

Für alle die noch Starthilfe brauchen: Von Deadly Knitshade, Mitglied der vorgestellten Gruppe Knit the City, erscheint demnächst „Maschenhaft Seltsames„, hier vorzubestellen. Wer nicht mehr warten kann, muss sich vorläufig mit „Yarnbombing. The Art of Crochet and Knit Graffiti“ , ein Buch zu Theorie und Praxis des Guerilla Knittings, begnügen und ein paar hervorragende flickrPools durchklicken…

Über theresa gessler

Theresa Gessler studiert Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt und war von Oktober 2010 bis Februar 2011 semesterbegleitend Praktikantin am Museum für Kommunikation Frankfurt.
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10 Antworten auf Neue Handarbeit: Guerilla Knitting

  1. Ich freue mich über jede Blüte, die sich für die Aktion „Blühende Brücken“ eignet. Am besten sehen die Objekte aus, wenn mehrere Blumen nebeneinander befestigt sind.(Siehe Foto oben)
    Der Mindestdurchmesser pro Blüte sollte 10cm betragen.

  2. WorstedKnitt sagt:

    Sehr schön! Guerilla knitting ist eine von meine Lieblingsphänomene zurzeit.

  3. verena kuni sagt:

    … und ARTE Tracks hat auch gerade einen passenden Beitrag gebracht zur neuen Lust an DIY und Handarbeit:
    http://videos.arte.tv/de/videos/tracks-3649010.html
    … siehe Kap. 3., Homemade Nation – Die coole Handarbeit.

    Mehr zu Faith Levines Filmprojekt und ihrem Buch „Handmade Nation“ (der Beitrag schaut eher auf die Szene hierzulande, Handmade Nation ist nur ein Bezugsspunkt für den Tracks-Beitrag) hier:
    http://faythelevine.blogspot.com/
    und ein bisschen zum Buch direkt auf Deutsch hier:
    http://www.homemade-labor.ch/weblog/archives/2009/11/handmade_nation.html

    Und dann auch sicher wieder mal demnächst wieder hier im Blog…

  4. verena kuni sagt:

    Ach ja, a propos Arte Tracks:
    Zu Yarn Bombing in deutschen Geflden hatte es natürlich auch schon mal einen Beitrag, das war aber schon letztes Frühjahr:
    http://videos.arte.tv/de/videos/yarn_bombing-3122566.html

    Mehr über die Münchener Handarbeits-AktivistInnen hier:
    http://www.homemade-labor.ch/weblog/archives/2009/11/textile_zeichen.html

    Sowie zu aktuelleren Aktivitäten:
    http://www.homemade-labor.ch/weblog/archives/2010/06/ambulante_texti.html
    und
    http://www.homemade-labor.ch/weblog/archives/2010/06/thread_therapy.html

    Sollte es ein Interesse daran geben, dass auch hier in Frankfurt gelegentlich mal Thread Therapy angeboten wird: Das liesse sich sicher einrichten…
    =8)

  5. […] zwischen Medien sind was Erstaunliches: Über unseren Blog-Artikel zum Thema Guerilla Knitting wurde die BILD Frankfurt auf uns aufmerksam, auf der Suche nach trendigen Frankfurter […]

  6. verena kuni sagt:

    @A.E:
    Leider erst heute eräugt. Faust Knäul aufs Auge! Grossartig!!!
    =8)

  7. verena kuni sagt:

    Und da wir grad wieder beim Thema sind: Strick & Liesl wurden/werden aktuell auch durch diverse Medien gereicht,
    Mehr von den beiden (auch wenn ich nur äußerst sträubsam Anker auf f***book-Seiten setze) hier:
    http://www.facebook.com/pages/fluffy-throw-up-by-Strick-Liesel/149457948449682?sk=wall

  8. Mirache sagt:

    Ach!! Machen wir auch in Berlin!! 🙂 xx

  9. […] Guerilla Knitting oder Yarn Bombing haben wir beispielsweise hier im DIY-Blog schon mehrfach berichtet. Es folgt der Tradition des Graffiti als Intervention im […]